Nature Writing

Wolken, Wind & Wetter

Als Kind kletterte ich hin und wieder auf das Dach von Großmutters Gartenhäuschen, legte mich auf den Rücken und schaute den Wolken zu, wie sie vorüberzogen. Manchmal lösten sie sich auf oder vereinten sich mit Nachbarwolken. Was für ein Schauspiel! Die Fantasie im mir sah hier einen kleinen Dackel, dort ein großartiges Ungeheuer mit langem Schwanz und ungewöhnlichen Ohren. Für mich, die ich in den 60er Jahren in einer Großstadt aufwuchs, war das ein herrlicher und auch beruhigender Zeitvertreib.

Später lernte ich, dass Wolken unterschiedliche Namen haben, dass Schäfchenwolken auch Cumulus heißen und die filigranen Wolken, weit oben am Himmel, eiskalt sind und Cirrus genannt werden. Ich lernte, dass es nicht nur den lauen Südwind gab, den ich so sehr mochte, sondern auch den kalten Mistral, der unter anderem in der Provence aus dem Norden pfeift, den Scirocco, der heiß aus der Wüste in Richtung Mittelmeer bläst oder den schneefressenden Chinook der Rocky Mountains.

Die Welt der Winde und Wolken faszinierte mich immer mehr. Schließlich entdeckte ich im Internet die Cloud Appreciation Society, die Gavin Pretor-Pinney 2005 ins Leben gerufen hat – eine immense Sammlung an Fotos, Gemälden und Gedichten zum Thema Wolken. Eine Fundgrube, in der ich mich genauso verlieren kann, wie damals als Kind auf Großmutters Hüttendach.

Ich beobachte wieder häufiger den Himmel, nehme Wetterphänomene genauer wahr:
An schönen Tagen ziehen die Wolken oft unmerklich am Himmel dahin und dennoch liegt viel Bewegung in ihnen. Das kleine Zicklein, dass hinter dem Berggipfel hervorschaut, hat sich beim zweiten Hinschauen ruck-zuck im wahrsten Sinne des Wortes in Luft aufgelöst.

Dieses Wolkenbeobachten führte mich zu allerlei Fragen: Wie viel frischen Wind brauche ich in meinem Leben, wie viel Luft, Weite und Frei-Raum? Wie viel Beweglichkeit und kreatives Spiel? Was würde ich gerne zusammenballen, fokussieren, was auflösen? Ob der Wind mir auch die Antworten herbeiweht?

Wer weiter stöbern will, findet hier die Cloud Appreciation Society

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Vom Schreiben mit Bleistift

Schreibende haben ganz unterschiedliche Vorlieben, was ihr Schreibgerät betrifft: der schöne Füller – ein Erbstück vom Großvater, eine Packung bunter Filzstifte zum Skizzieren, vielleicht ein Tablet für diejenigen, die eine Tastatur lieben oder der einfache Bleistift, der immer und überall seine Dienste tut und zur Not auch mit dem Messer angespitzt werden kann.

Roger Deakin schreibt in seinem Buch „Wilde Wälder“:
„Hin und wieder entdeckt man den perfekten Kugelschreiber oder Füller und nimmt ihn überallhin mit, bis man ihn eines Tages verliert. Aber nichts ist so dauerhaft, so verlässlich und liegt so selbstverständlich in der Hand wie ein Bleistift. (…) Oft schreibe ich auch meine Texte mit dem Bleistift. Er passt gut zu meinem experimentierfreudigen Wesen. Mit ihm kann ich vor dem Schreiben mit Tinte im wahrsten Sinne des Wortes Skizzen meiner Ideen anfertigen. Er war das erste Hilfsmittel, mit dem ich als Kind geschrieben und gezeichnet habe, und ist für mich immer noch die enge Verbindung dieser beiden Tätigkeiten. Ich werde wohl nie aus diesem Bleistiftalter herauswachsen. Auf Papier ist Bleistift für mich das erste und natürlichste Ausdrucksmittel. Es ist beruhigend und befreiend, dass man alles wieder ausradieren kann. Der Bleistift ist das Gegenteil vom Meißeln in Stein. Er flüstert über die Seite und ist nie dogmatisch.“ (S. 42)

Und weiter schreibt er:
„Die fein gemaserte, langsam wachsende Mutter aller Bleistifte ist die Weihrauchzeder aus den Wäldern von Oregon in Nordamerika, wo ein einzelner Baum über vierzig Meter hoch werden kann, dessen Stamm einen Durchmesser von eineinhalb Metern haben kann, genug Zedernholz für 150 000 Bleistifte.“ (S. 42f)

Auch ich bin fasziniert von Bleistiften. Das Bild oben habe ich in New York fotografiert, als es CW Pencil Enterprise noch gab, ein Geschäft, in dem man nur Bleistifte, Spitzer, Radiergummis und Notizbücher kaufen konnte. Auch wenn es das Geschäft nicht mehr gibt, so steht das Archiv mit interessanten Artikeln über Bleistifte aus aller Welt immer noch zur Verfügung.

Bleistifte haben für mich aber auch einen ökologischen Wert im Gegensatz zu all den Stiften und Werbekugelschreibern, die aus Kunststoff sind und häufig relativ schnell im Müll landen.

 

Lesetipp:

CWPencils: Archiv zum Schmökern über Bleistifte

Roger Deakin (2018): Wilde Wälder. Naturkunden No. 43. Berlin: Matthes & Seitz.

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Vogelkonzert im Frühling – Wer singt da eigentlich?

Zurzeit sind sie alle fleißig, die kleinen Singvögel, die uns frühmorgens schon ein kleines Konzert schenken. Doch wer singt da eigentlich? Wen kennen wir überhaupt?

Die Amsel mit ihrem melodischen Gesang, die krächzenden Krähen, die gurrenden Tauben, dann vielleicht noch den Zilpzalp, weil er eben zilpzalp ruft, später im Jahr dann noch der Kuckuck … Ich habe mich gefragt, ob und wie man das lernen kann, die Vögel an ihren Stimmen zu erkennen – denn wir hören sie ja meist eher und besser, als wir sie sehen.

Johanna Romberg gibt in ihrem sehr lesenswerten Buch „Federnlesen“ gleich zu Beginn einige hilfreiche Hinweise und weist darauf hin, dass das Wort Vogelbeobachtung nicht wirklich zutrifft, denn meistens sei es eher ein Lauschen. Von daher scheint der englische Begriff des birdings zutreffender.

Romberg verweist in ihrem Buch auf Donald Kroodsma, der seit über 40 Jahren Vogelstimmen erforscht. Er meint, man solle vorgehen wie nach einem Umzug in eine fremde Stadt und erst einmal EINEN Nachbarn kennen lernen und nicht gleich alle gleichzeitig. Doch gerade im Frühling zwitschern die Vögel munter durcheinander und es ist gar nicht so einfach, sich auf EINEN neuen Nachbarn zu konzentrieren.
Dennoch werden gerade im Frühjahr die meisten Vogelstimmenwanderungen angeboten. Auch ich habe letztes Jahr eine besucht – es war hochinteressant. Die Kursleiterin versuchte uns, überhaupt erst einmal zum Lauschen zu erziehen: ruhig werden, Zeit nehmen, hinhören, noch genauer hinhören – und nicht gleich einfach nur den Namen wissen wollen. Ich habe tatsächlich eine Stimme kennen gelernt, die ich dann über den Sommer immer wieder wiedererkannt habe. Doch die anderen Stimmen? Weidenlaubsänger, Zeisig, Kleiber …? Es war tatsächlich zu viel auf einmal.

Schließlich bin ich auf das Cornell Lab of Ornithology gestoßen und habe mir eine Bestimmungs-APP heruntergeladen – sie ist kostenfrei und ohne Werbung. Ich nutze sie häufig und habe viel Freude daran.

Und natürlich habe ich Johanna Rombergs Buch durchgeschmökert und mich an ihren vielen, lebendigen beschriebenen, Erfahrungen gefreut und jede Menge Neues über Vögel und Vogelbeobachtung gelernt: über eine Frankfurter Spezialklinik für abgestürzte Mauersegler, über die Zugvögelbeobachtung auf Helgoland, über die Gefährdung von Rotmilanen und Mäusebussarden durch Windkraftanlagen oder über Fluffis – Vögel, die vom Land in die Stadt ziehen…

 

Lesetipp:

Johanna Romberg (2018): Federnlesen. Vom Glück, Vögel zu beobachten. Köln: Lübbe.

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Magie des Staunens

Rachel Carson, Meeresbiologin und Naturschriftstellerin, hat mit ihrem Buch „Der stumme Frühling“, das 1962 erschienen ist, einen starken Impuls zur Gründung der internationalen Umweltbewegung gesetzt. Ihr Werk sowie ihr unermüdlicher Kampf führten schließlich zum Verbot von DDT. Sie gilt als eine der einflussreichsten Menschen des 20. Jahrhunderts.

Ein weniger bekanntes Büchlein ist die „Magie des Staunens“. Mit einem feinen Sinn für die Natur und die Bedeutung für uns Menschen beschreibt sie sehr einfühlsam, wie sie zusammen mit ihrem Großneffen Roger die Natur entdeckt. Das Buch hat mich verzaubert, und so gehört zu jenen seltenen Büchern, die ich schon mehrfach gekauft habe, um sie zu verschenken. Folgen wir doch einfach dem Text, der auf der Buchrückseite zu lesen ist: „Höre auf dein Herz und lerne das Staunen!“

Ich wünsche allen eine friedliche Zeit zum Staunen über die Wunder, die es überall zu entdecken gilt.

 

Rachel Carson (2019): Magie des Staunens. Die Liebe zur Natur entdecken. Erschienen bei Klett-Cotta

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Artensterben – Wörtersterben

Laut Wissenschaftlern steht die Welt am Anfang des sechsten Massensterbens in der Erdgeschichte. Etwa alle zehn Minuten sterbe eine Tier-, Pilz- oder Pflanzenart aus  (Deutsche Welle 11.10.2021).
Aber nicht nur die Arten sterben aus, sondern auch die Worte, mit denen wir Tiere, Pflanzen und Pilze bezeichnen. Das Oxford-Lexikon für Kinder hat Naturbegriffe gestrichen, da sie nicht mehr der Lebenswelt der Kinder entsprechen. Da verschwinden die Eichel, die Weide, der Reiher, der Rabe, die Lerche oder der Eisvogel aus der Sprachwelt; werden ersetzt durch blog, chatroom oder voicemail. Sogar die Kastanie wurde gestrichen – obwohl sie über Jahrzehnte die Hosentaschen der Kinder füllte, zum Basteln im Herbst anregte, und auch heute noch erlebe ich Erwachsene, die eine dieser herrlich glatten Herbstfrüchte als Handschmeichler aufheben und in der Jackentasche verschwinden lassen.

Natürlich listen aktuelle Wörterbücher aktuelle Sprache ab, aber dennoch: Was passiert, wenn wir keine Worte mehr haben, um die Natur um uns herum zu benennen? Nehmen wir sie und ihren Zustand noch weniger wahr? Vertiefen wir uns noch mehr in digitale Welten und spüren immer weniger, das wir uns immer mehr unsere Lebensgrundlage ruinieren?

Robert Macfarlane schreibt in seinem Buch „The Lost Words – A Spell Book“: „We’ve got more than 50% of species in decline. And names, good names, well used can help us see and they help us care. We find it hard to love what we cannot give a name to. And what we do not love we will not save.”

Namen können uns helfen, überhaupt erst zu sehen, wahrzunehmen und uns schließlich auch zu kümmern. Es ist schwer, etwas zu lieben, was wir gar nicht benennen können, für das wir keine Namen haben. Wofür wir keine Namen haben, werden wir auch nicht retten.

Was also tun?

Eva John hat die verloren gegangenen Worte aufgegriffen und mit ihrem „Lost Words Explorer Guide“ einen wunderbaren Pflanzen- und Tierführer gestaltet, der Alt und Jung anregt, sich wieder mit der Natur zu befassen. Da gibt es die Möglichkeit, schön Worte zu sammeln, kreative Schreibimpulse zu nutzen oder Anregungen, um Augen und Ohren wieder zu öffnen, Notizen zu machen – Worte zu finden, um das Erlebte auszudrücken. Gerade der Austausch mit anderen hilft uns, sich gemeinsam wieder auf die Socken zu machen. Auch wenn diese wunderbare PDF auf Englisch geschrieben ist, lassen sich die vielen Anregungen dennoch gut nutzen. Zudem ist es eine Freude, in der anregend gestalteten PDF zu „blättern“.

Ich wünsche allen wunderbare Herbsttage

Hier geht es zu Eva Johns: “Lost Words Explorer Guide”

Hier geht es zu Robert Macfarlanes: „The Lost Words – A Spell Book” (Hervorragend illustriert von Jackie Morris)

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Nature Journaling

Eingekuschelt liege ich im Schlafsack und lausche: Es knackt und knistert um mich herum. Ein leiser Wind spielt in den Ästen der hundertjährigen Eiche, der Mond wirft ein sanftes Licht durch die Fenster des Baumhauses, in dem ich die Nacht in 18 Meter Höhe verbringe …

So beginnt der Artikel, den ich für die Zeitschrift Federwelt über das Thema Nature Journaling – das Schreiben eines Naturtagebuches – geschrieben habe.

Nature Journaling kann unterschiedlichen Zwecken dienen: Es bietet die Möglichkeit, sich wieder mehr mit der Natur zu verbinden. Die Notizen können als Grundlage für das Schreiben von Sachbüchern dienen oder für Essays oder Lyrik, die in Richtung Nature Writing gehen. Zudem kann es helfen, Kreativität (neu) zu entdecken oder die eigene Achtsamkeit zu schulen.

Ich nutze das Nature Journaling allerdings auch, um einen Ausgleich zur sitzenden Arbeit am Schreibtisch zu haben. Wir verbringen heute 93% unsere Zeit in geschlossenen Räumen oder im Auto – was erwiesenermaßen zu gesundheitlichen Problemen führt. Andrew Huberman, Neurologe und Augenarzt, empfiehlt morgens und abends wenigstens zwei bis zehn Minuten draußen bei Tageslicht zu verbringen, denn nur das Draußensein balanciert unseren Schlaf-Wach-Rhythmus, regt unseren Stoffwechsel an, hat einen positiven Einfluss auf unsere Stimmung und fördert unsere Konzentrationsfähigkeit. Für jeweils 90 Minuten arbeiten am Bildschirm (fokussiertes Sehen) fordert er 30 Minuten Ausgleich (Blicken in die Weite), um unsere Sehfähigkeit bis ins hohe Alter zu erhalten.

Ich befürchte, dass das für viele Menschen im Arbeitsalltag gar nicht machbar ist. Dennoch versuche ich – gerade, wenn das Wetter es zulässt – draußen zu arbeiten. Ich habe Bewegung, das Sonnenlicht (auch bei bedecktem Himmel) tut meinen Augen gut – ich kann immer wieder in die Weite blicken und den Blick bis zum Horizont wandern lassen und genieße die frische Luft.
Hier geht es zum Artikel in der Federwelt, in dem sich konkrete Anregungen für das Führen eines Naturtagebuchs finden. Auch habe ich am Bodensee eine kleine Schreibgruppe, die sich intensiv mit Nature Writing befasst. Bei Interesse gerne melden.

 

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Wie schreibt man über Natur?

Das Buch von Jürgen Goldstein „Naturerscheinungen. Die Sprachlandschaften des Nature Writing“ gibt einen hervorragenden Überblick über unterschiedliche Autorinnen und Autoren des Nature Writing: David Henry Thoreau, Annie Dillard, John Muir, Nan Shepherd, Robert Macfarlane, um nur einige zu nennen. Sie alle haben nicht nur sehr präzise über Natur geschrieben, sondern auch ihre eigene Erfahrungswelt versucht in Worte zu fassen.

Goldstein geht der sehr wesentlichen Frage nach, inwieweit wir überhaupt eine Sprache haben, um über Natur zu reden oder zu schreiben und schildert „die Disziplinierung der Sprache“ (49). Während sich seit der Moderne in den Naturwissenschaften eine rein sachliche und analytische Sprache durchgesetzt hat und man versuchte, das persönliche Wahrnehmen komplett auszuschließen, verteidigt das Nature Writing „die persönlich leibgebundenen Erfahrungen gegenüber [dieser] Entwertung“ (102). Im Nature Writing dient das Schreiben über die Natur „einer Einweisung in das eigene Erleben“ (26) und schult somit die Aufmerksamkeit gegenüber der Natur aber auch gegenüber den eigenen inneren Prozessen.

Wie anders könnten wir heute in einer Zeit von Klimakrise, immer noch andauernder Ausbeutung der Rohstoffe sowie Missachtung von Ökosystemen wieder einen achtsamen Zugang finden, wenn nicht über die Verbindung von Naturkunde und tiefem persönlichen Interesse (105), das letztlich versucht, Worte zu finden, um genau diese tiefe Beziehung wieder zu spürenn und zum Ausdruck zu bringen.

„Nature Writing setzt auf die Einsicht, dass die Sprache unser Denken formt und somit die Wirklichkeit, in der wir leben. Es unternimmt den Versuch, einen sensiblen Zugang zur entgleitenden Natur zu bewahren. Damit steht es tief in der spannungsvollen Tradition unserer Kultur- und Sprachgeschichte.“ (27)

 

Absolut lesenswert: Jürgen Goldstein (2019): Naturerscheinungen. Die Sprachlandschaften des Nature Writing. Berlin: Matthes & Seitz.

Eine reiche Fülle von wunderbaren Werken bietet der Verlag Matthes & Seitz

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