Schreibort

Kreative Streifzüge

Zurzeit verbringen wir alle mehr Zeit denn je vor dem Bildschirm – sei es im erzwungenen Home-Office oder um den Kontakt mit Familie und Freunden zu halten. Es kann daher sehr erholsam und anregend sein, dem Ganzen etwas ganz Anderes ausgleichend an die Seite zu stellen, denn das Wetter ist wunderbar, und wir alle sehnen uns in diesen Zeiten mehr denn je nach frischer Luft und lebendiger Natur. Daher lade ich Sie zu einem Kreativen Streifzug ein. Machen Sie sich auf den Weg nach draußen – mit Schreibzeug im Rucksack – verlassen Sie den limitierten Blick auf den Bildschirm 30 cm vor Ihnen und tauschen Sie ihn gegen die Weite der Landschaft; schaffen Sie Frei-Raum und Denk-Raum und erweitern Sie in einem ganz wörtlichen Sinne Ihren Horizont. Dabei versuchen Sie Ihren Kopf zu leeren und Platz für Neues zu schaffen.
Klausbernd Vollmar schreibt in seinem Buch Sprungbrett zur Kreativität: „Kreativität [braucht] ein Ziel […], an dem sie sich ausrichtet, sonst verströmt sie sich in der Beliebigkeit und kann nichts bewirken.“ (2000: 158). Daher setzen auch wir uns einen klar und individuell formulierten Rahmen, öffnen unsere Sinne für die Welt um uns und in uns und versuchen, uns neue Geh-danken zu ergehen … in der alten Tradition der Peripatetiker.
Die Schritte 4-7 habe ich der Forschungsmethode des Action Research entlehnt und in dem Buch von David Coghlan und Teresa Brannick gefunden: Action Research. Doing Action Research in your own Organization.

Hier noch einmal alle Schritte im Überblick – Zeitlicher Rahmen ungefähr 90-120 Minuten:

  1. Raus gehen: Frei-Raum und Denk-Raum schaffen, den Horizont in einem ganz wörtlichen Sinne erweitern
  2. Gehen und die aktuellen Themen im Kopf hinter sich lassen, den Kopf leeren, Platz für Neues schaffen
  3. Thema klären, Frage formulieren – Auf welche Fragen suche ich Antworten? Für welche Themen Anregungen und Ideen?
  4. Sinne öffnen, loslaufen und einsammeln, was kommt. „Fundstücke“ festhalten – Woran bleiben meine Sinn hängen? An einer Blüte, einem Stein, einer Wolkenformation … ?
  5. Einen Schreibplatz suchen (Parkbank, Hafenmauer…) und Notizen anfertigen: Die Fundstücke auflisten!
  6. Zu jedem Fundstück frei assoziieren und die Assoziationen mit dem Fundstück verknüpfen
  7. Wie könnten nächste sinnvolle Schritte aussehen? To-Do-Liste schreiben, nächste Schritte planen

Mit den entstandenen Anregungen kann nun weiter gearbeitet werden. Haben Sie Fragen zu diesem Prozess. Gerne stehe ich Ihnen zur Verfügung.
Das Projekt im Bild (oben) hat mir übrigens einen sehr guten Input bezüglich der Textarbeit gebracht …

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Tausche Schreibtisch gegen Schreiben im Café

1528 schrieb Erasmus von Rotterdam: „Ich habe eine Studierstube im hintersten Winkel meines Hauses, mit dicken Mauern, doppelten Türen und Fenstern, alle Ritzen sind sorgfältig mit Gips und Pech verstopft, so daß selbst unter Tag kaum ein Lichtstrahl eindringen kann, und auch kein Laut, wenn er nicht besonders penetrant ist, wie etwa das Geschrei zankender Weiber oder der Krach, den die Handwerker machen.“*

Wie geht es Ihnen, wenn Sie das lesen? Ich merke, wie es mir zu eng wird; ich sehne mich beim Schreiben nach Licht, Luft und Frei-Raum.
Ich weiß, es gibt nicht DIE optimalen Schreibbedingungen, denn so, wie Schreibende verschieden sind, so sind auch die Schreibbedingungen, die ihnen gut tun und das Schreiben fördern, sehr unterschiedlich.

Ich habe oft heimlich im Caféhaus, zwischen dem Einkaufen, gearbeitet. (…) Ich auf meinem Bett, auf meinem Liegestuhl, im Gras sitzend, immer mit angezogenen Knien, auf den Knien das Schulheft, das Kinderschulheft, in das ich Gedichte schrieb, oder Bruchstücke von Gedichten, oder Prosa (…)“*

Die Frage entsteht, braucht Schreiben immer einen Ort? Ist es nicht gut, ab und zu den Schreibort ganz zu verlassen und sich zu bewegen. Jostein Gaarder schreibt in seinem Buch „Der Geschichtenverkäufer“: „Wenn ich allein unterwegs war, hatte ich immer Bleistift und Notizblock bei mir. Im Gehen konnte ich besonders gut nachdenken. Natürlich tat ich das die ganze Zeit, aber das hemmungslose Fabulieren fiel mir leichter, wenn ich mich durch die freie Natur bewegte, als wenn ich in meiner Wohnung im Sessel saß. Von Schiller stammt der Satz, daß der Mensch beim Spielen frei werde, da er dann seinen eigenen Gesetzen folge. Er hatte damit nicht unrecht, aber die Sache ließ sich natürlich auch auf den Kopf stellen: Es war leichter, mit Gedanken und Ideen zu spielen, wenn ich frei über die Hardangervidda zog, als wenn ich Stunde für Stunde wie ein Vorstadtsklave in meinen vier Wänden auf und ab tigerte. (…) Ich dachte kühner und frischer, wenn ich unterwegs war, auf diese Weise entstanden immer neue Sujets und Synopsen.“*

Gerade das Sich-bewegen in einer Phase der Ideensuchen, des Nachdenkens über Zusammenhänge und Gelesenes kann viel zum gelingenden Arbeiten beitragen. Auch bei einer sogenannten Schreibblockade kann es hilfreich sein, nach draußen zu gehen, sich zu bewegen, vielleicht sogar möglichst rhythmisch, auf einem Weg, der wenig Aufmerksamkeit erfordert. Doch zurück zum Schreibort.

Checkliste: Tausche Schreibtisch gegen Schreiben im Café
  • An welchen Orten schreibe ich normalerweise?
  • Tausche Schreibtisch gegen Schreiben im Café
    Probieren Sie verschiedene Ort aus und reflektieren Sie:
  • Was unterstützt/behindert mein Schreiben?
  • Wo schreibe ich konzentriert?
  • Wo bin ich kreativ?
  • Welcher Schreibort passt zu meiner jeweiligen Arbeitsphase? Will ich kreativ Ideen spinnen, einen Rohtext zügig verfassen oder hoch konzentriert einen Text überarbeiten?

In den vergangenen drei Jahren habe ich viele unterschiedliche Schreiborte ausprobiert: Ich schrieb mich in Wien durch ein halbes Dutzend Kaffeehäuser, von höhlenartig-verraucht bis luftig-frisch, schrieb auf wuseligen Bahnhöfen und lärmenden Flughäfen, am Washington Square in New York City oder in der Einsamkeit des Val Grande.

Schreibimpuls

Nehmen Sie einen Zeitwecker. Schicken Sie Ihren „Inneren Kritiker“ in die Kaffeepause, erlauben Sie sich, frei und spontan zu schreiben, zu träumen,  und schreiben Sie fünfzehn Minuten zu folgendem Thema: Mein idealer Schreibort …

Nachdem Sie geschrieben haben, lehnen Sie sich zurück, lesen Sie, was Sie geschrieben haben und ziehen Sie Anregungen für Veränderung aus dem Text.
Was lässt sich konkret umsetzen? Welche Ideen sind ein wenig utopisch? Steckt in ihnen nicht aber auch eine Veränderungsmöglichkeit?

Ich hatte bei dem oben erwähnten Impuls von einem Schreibort in der Provence geträumt: Sonne, Meer, Lavendelduft, Café au Lait, ein lauer Südwind, ein kleiner Schreibtisch im Schatten der Bäume …
Klar war mir, dass ich mit meinen momentanen Arbeitsverpflichtungen meinen Schreibtisch nicht 1000 km Richtung Süden verlegen konnte. Doch das freie Schreiben ließ mich aufmerksam werden. Was steckte in meinen Wünschen? Hauptpunkt, das spürte ich, war die Wärme, denn oftmals habe ich beim Schreiben kalte Füße – dem ließ sich aber abhelfen, auch der Café au Lait war schnell gekocht. Lavendelduft und Meer assoziierte ich mit Entspannung – klar, ich kenne mich. Unter Zeitdruck kann ich nicht anständig schreiben. Wichtig war also gar nicht der Ort im fernen Süden, sondern zu lernen, mit Termindruck anders umzugehen, Schreib-Aufträge entsprechend anzunehmen oder auch abzulehnen und manchmal einfach den zeitlichen Druck ignorieren zu lernen, um das Formulieren nicht zu stören.

*Erasmus von Rotterdam: Gefunden in: Krajewski, Markus (2013): Lesen, Schreiben, Denken. Köln, Weimar, Wien: Böhlau. S. 12
*Marie Luise Kaschnitz: Gefunden in: Essig, Rolf-Bernhard (2007): Schreiblust & Dichterfrust. München: Carl Hanser. S. 148
*Jostein Gaarder (2002): Der Geschichtenverkäufer. München: dtv. S. 72

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Was ist eigentlich ein Schreibspaziergang?

Schreiben und Gehen, Geh-danken aufschreiben, langsam gehen, eben spazieren gehen. Das Wort spazieren lässt sich ableiten vom Lateinischen spatiari und bedeutet umherschweifen. Daher nenne ich meine Schreibspaziergänge auch gerne Kreative Streifzüge, denn ich schweife oder streife umher, auf der Suche nach Inspiration, Anregung, Ideen oder Antworten auf Fragen.

Wenn wir im Alltag von A nach B eilen, sind unsere Gedanken meisten (noch) bei A und der gerade geschriebenen Mail oder (schon) bei B und dem nächsten Meeting. Der kreative Streifzug lädt ein, zu entschleunigen, im Jetzt zu sein, wahrzunehmen, was gerade ist – in uns, aber vor allem auch um uns herum: Farben, Formen, Texte, Menschen, Landschaften, Dialoge …

Das, was wir sehen, hören, riechen, darf sich verknüpfen mit den Assoziationen, die auftauchen. Egal, ob wir nun Inspiration für ein Projekt suchen, Antworten auf bestimmte Fragen oder ob wir etwas Spezielles beobachten möchten – die Assoziationen können uns führen. Ein Beispiel:

Mein heutiger Streifzug durch das herbstliche Sonnenwetter führte mich hier am Bodensee natürlich auch an den Apfelbäumen vorbei. Das erste Wort, das auftauchte, war Ernte. „Was habe ich dieses Jahr nicht alles geerntet…?“, schoss es mir durch den Kopf. Diese Frage regt zum Schreiben einer Liste an. Dabei kann ich sie wörtlich nehmen und an meinen Garten denken, an die vielen Kirschen und Pflaumen, oder ich nehme die Frage metaphorisch:
Was habe ich dieses Jahr privat oder auch beruflich geerntet, geschaffen, wachsen lassen, konstruiert, kreiert? Dabei können viele Verben passend sein.

  • Mein Artikel für die Federwelt fällt mir ein, aber auch die Freude über die zehn Interviews, die ich dafür mit professionell Schreibenden geführt habe.  Die gelungene Zusammenarbeit mit der Chefredakteurin Anke Gasch zaubert mir jetzt noch ein Lächeln ins Gesicht.
  • Meine Reise nach New York fällt mir ein, die Museen und Galerien, das Bummeln durch Arts&Crafts, wo ich so herrlich zwischen Skizzenbüchern und Stiften stöbern kann.
    Fast spüre ich die tropische Wärme jener Tage wieder auf der Haut. Und ich erinnre mich gerne an die inspirierenden Gespräche mit dem Design Director von Urban-X; dabei entstand ein Konzept für ein Video, an dem ich nun gerade arbeite.
  • Meine neue Website fällt mir ein und der Spaß, den ich beim Gestalten mit Markus Bühler, meinem Webmaster, hatte.
  • Dann tauchen die Wanderungen im Vercors und im Valle Maira auf; fast höre ich noch die Stille inmitten der wilden Natur.

Was so ein Apfelbaum alles auslösen kann! Ein Reichtum der ganz anderen Art wird spürbar.

Schreibimpuls

Nehmen Sie Stift und Papier, gehen Sie hinaus und probieren Sie es einfach aus. Gerne nehme ich Sie auch mit, wenn ich den nächsten Schreibspaziergang mache.

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