1528 schrieb Erasmus von Rotterdam: „Ich habe eine Studierstube im hintersten Winkel meines Hauses, mit dicken Mauern, doppelten Türen und Fenstern, alle Ritzen sind sorgfältig mit Gips und Pech verstopft, so daß selbst unter Tag kaum ein Lichtstrahl eindringen kann, und auch kein Laut, wenn er nicht besonders penetrant ist, wie etwa das Geschrei zankender Weiber oder der Krach, den die Handwerker machen.“*
Wie geht es Ihnen, wenn Sie das lesen? Ich merke, wie es mir zu eng wird; ich sehne mich beim Schreiben nach Licht, Luft und Frei-Raum.
Ich weiß, es gibt nicht DIE optimalen Schreibbedingungen, denn so, wie Schreibende verschieden sind, so sind auch die Schreibbedingungen, die ihnen gut tun und das Schreiben fördern, sehr unterschiedlich.
Ich habe oft heimlich im Caféhaus, zwischen dem Einkaufen, gearbeitet. (…) Ich auf meinem Bett, auf meinem Liegestuhl, im Gras sitzend, immer mit angezogenen Knien, auf den Knien das Schulheft, das Kinderschulheft, in das ich Gedichte schrieb, oder Bruchstücke von Gedichten, oder Prosa (…)“*
Die Frage entsteht, braucht Schreiben immer einen Ort? Ist es nicht gut, ab und zu den Schreibort ganz zu verlassen und sich zu bewegen. Jostein Gaarder schreibt in seinem Buch „Der Geschichtenverkäufer“: „Wenn ich allein unterwegs war, hatte ich immer Bleistift und Notizblock bei mir. Im Gehen konnte ich besonders gut nachdenken. Natürlich tat ich das die ganze Zeit, aber das hemmungslose Fabulieren fiel mir leichter, wenn ich mich durch die freie Natur bewegte, als wenn ich in meiner Wohnung im Sessel saß. Von Schiller stammt der Satz, daß der Mensch beim Spielen frei werde, da er dann seinen eigenen Gesetzen folge. Er hatte damit nicht unrecht, aber die Sache ließ sich natürlich auch auf den Kopf stellen: Es war leichter, mit Gedanken und Ideen zu spielen, wenn ich frei über die Hardangervidda zog, als wenn ich Stunde für Stunde wie ein Vorstadtsklave in meinen vier Wänden auf und ab tigerte. (…) Ich dachte kühner und frischer, wenn ich unterwegs war, auf diese Weise entstanden immer neue Sujets und Synopsen.“*
Gerade das Sich-bewegen in einer Phase der Ideensuchen, des Nachdenkens über Zusammenhänge und Gelesenes kann viel zum gelingenden Arbeiten beitragen. Auch bei einer sogenannten Schreibblockade kann es hilfreich sein, nach draußen zu gehen, sich zu bewegen, vielleicht sogar möglichst rhythmisch, auf einem Weg, der wenig Aufmerksamkeit erfordert. Doch zurück zum Schreibort.
Checkliste: Tausche Schreibtisch gegen Schreiben im Café
- An welchen Orten schreibe ich normalerweise?
- Tausche Schreibtisch gegen Schreiben im Café
Probieren Sie verschiedene Ort aus und reflektieren Sie:
- Was unterstützt/behindert mein Schreiben?
- Wo schreibe ich konzentriert?
- Wo bin ich kreativ?
- Welcher Schreibort passt zu meiner jeweiligen Arbeitsphase? Will ich kreativ Ideen spinnen, einen Rohtext zügig verfassen oder hoch konzentriert einen Text überarbeiten?
In den vergangenen drei Jahren habe ich viele unterschiedliche Schreiborte ausprobiert: Ich schrieb mich in Wien durch ein halbes Dutzend Kaffeehäuser, von höhlenartig-verraucht bis luftig-frisch, schrieb auf wuseligen Bahnhöfen und lärmenden Flughäfen, am Washington Square in New York City oder in der Einsamkeit des Val Grande.
Schreibimpuls
Nehmen Sie einen Zeitwecker. Schicken Sie Ihren „Inneren Kritiker“ in die Kaffeepause, erlauben Sie sich, frei und spontan zu schreiben, zu träumen, und schreiben Sie fünfzehn Minuten zu folgendem Thema: Mein idealer Schreibort …
Nachdem Sie geschrieben haben, lehnen Sie sich zurück, lesen Sie, was Sie geschrieben haben und ziehen Sie Anregungen für Veränderung aus dem Text.
Was lässt sich konkret umsetzen? Welche Ideen sind ein wenig utopisch? Steckt in ihnen nicht aber auch eine Veränderungsmöglichkeit?
Ich hatte bei dem oben erwähnten Impuls von einem Schreibort in der Provence geträumt: Sonne, Meer, Lavendelduft, Café au Lait, ein lauer Südwind, ein kleiner Schreibtisch im Schatten der Bäume …
Klar war mir, dass ich mit meinen momentanen Arbeitsverpflichtungen meinen Schreibtisch nicht 1000 km Richtung Süden verlegen konnte. Doch das freie Schreiben ließ mich aufmerksam werden. Was steckte in meinen Wünschen? Hauptpunkt, das spürte ich, war die Wärme, denn oftmals habe ich beim Schreiben kalte Füße – dem ließ sich aber abhelfen, auch der Café au Lait war schnell gekocht. Lavendelduft und Meer assoziierte ich mit Entspannung – klar, ich kenne mich. Unter Zeitdruck kann ich nicht anständig schreiben. Wichtig war also gar nicht der Ort im fernen Süden, sondern zu lernen, mit Termindruck anders umzugehen, Schreib-Aufträge entsprechend anzunehmen oder auch abzulehnen und manchmal einfach den zeitlichen Druck ignorieren zu lernen, um das Formulieren nicht zu stören.
*Erasmus von Rotterdam: Gefunden in: Krajewski, Markus (2013): Lesen, Schreiben, Denken. Köln, Weimar, Wien: Böhlau. S. 12
*Marie Luise Kaschnitz: Gefunden in: Essig, Rolf-Bernhard (2007): Schreiblust & Dichterfrust. München: Carl Hanser. S. 148
*Jostein Gaarder (2002): Der Geschichtenverkäufer. München: dtv. S. 72