Schon oft habe ich mich gefragt, woher Tiere und vor allem Pflanzen ihre Namen haben. Die Wühlmaus wühlt, doch der Zitronenfalter faltet keine Zitronen. Die Brennnessel brennt, doch der Gemeine Froschbiss beißt keinen Frosch.
Ich habe gesucht und einige Kategorien gefunden: Manche Pflanzen haben ihren Namen aufgrund ihrer Form – so wie der Fingerhut, der Storchenschnabel oder der Aufrechte Igelkolben. Andere aufgrund ihres Lebensraumes, wie die Brunnenkresse, die Sumpfkratzdistel oder das Alpenveilchen. Die meisten haben ihren Namen wohl wegen ihrer Eigenschaften, wie das Springkraut und die Filzige Klette.
Manche Pflanzennamen verweisen auf eine (frühere) Verwendung, wie die Bauernschminke, die zum Schminken oder das Seifenkraut, das zum Herstellen von Seife verwendet wurde. Andere verweisen auf ihre Blütezeit: Das Schneeglöckchen, die Herbstzeitlose, der Winterling. Carl von Linné hat mit seinem Werk Species Plantarum von 1753 Ordnung in die Pflanzenwelt gebracht. Auf 1200 Seiten beschrieb er an die 7300 Arten derjenigen Pflanzen, die ihm damals bekannt waren und sortierte sie in seine bis heute weltweit gültige Nomenklatur.
Tina Welling bietet in ihrem Buch Wild Writing einen Weg, sich schreibend wieder mit der Natur zu verbinden. Der erste Schritt ist das sogenannte Naming – die Dinge in der Natur zu benennen, im Sinne einer ersten Kontaktaufnahme. Aber der Name, aus welcher Sprache auch immer, erfasst letztlich nicht alles. Noch heute sehe ich das kleine Mädchen mit einer Blume in der Hand freudestrahlend auf seine Mutter zulaufen. „Schau mal!“ Die Mutter wirft einen Blick auf das kleine Pflänzchen und sagt: „Ach, das ist doch nur ein Gänseblümchen!“
„Schade!“, denke ich. Was könnte man alles mit diesem Gänseblümchen machen! Sich mit den zarten Blüten das Gesicht streicheln, ein Kränzchen für die Haare flechten, aber auch den Kartoffelsalat damit dekorieren, denn Gänseblümchen sind essbar. Man könnte Blütenblätter zählen, daran riechen oder es einfach stehen lassen, damit es weiterwachsen kann.
Bei Tina Welling ist das der zweite Schritt, das sogenannte Detailing, sprich die Sinne öffnen, hinschauen, lauschen, riechen, schmecken, tasten. Wobei sie deutlich darauf hinweist, dass man nicht alles in den Mund schieben möge, sondern nur das probieren solle, was man auch als ungiftig einordnen kann.
Um sich mit der Natur und all ihren Erscheinungen zu verbinden, ist es durchaus hilfreich, genauer hinzuschauen. Das Gänseblümchen klein, zart und lieblich – blüht von März bis November ununterbrochen. Selbst wenn der Rasenmäher da war, dann blüht es kurz darauf schon wieder. Es scheint viel Ausdauer und Kraft in ihm zu stecken.
Interessant wird es, wenn wir den dritten Schritt in dieser Naturerkundung gehen – das sogenannten Interacting: tiefer eintauchen in die Wahrnehmung – Gedanken und Gefühle oder auch Erinnerungen, die auftauchen, notieren. Man kann sich fragen, was dieses Gänseblümchen für einen selbst bedeutet, welche Assoziationen ich mit ihm verknüpfen.
Ich bleibe an dieser besonderen Kombination hängen: klein-zart UND kraftvoll-ausdauernd. Mir fallen weitere interessante Kombinationen ein: Bambus ist extrem hart und dennoch biegsam und flexibel. Der Zitronenfalter, ebenfalls sehr zart, kann Temperaturen bis minus 20 Grad überstehen und ist im Frühjahr unter den ersten, die aus dem Laub kriechen.
Ich frage mich, ob auch wir Menschen solche sinnvollen Gegensätze kombinieren oder gar kultivieren könnten? Könnten wir kämpferisch UND friedlich sein, so wie Mahatma Gandhi? Könnten wir, so wie Gustave Flaubert es fordert, im täglichen Leben ordentlich-gleichförmig sein, in unserer Arbeit aber wild-originell?
Georgia O’Keeffe, eine der bekanntesten US-amerikanischen Malerinnen des 20. Jahrhunderts, hat immer wieder betont, dass Organisiertsein der Schlüssel zu produktiv-kreativem Arbeiten ist. Wie oft höre ich von Menschen, sie hätten keine Zeit zum Malen, zum Schreiben, zum Musizieren. Natürlich hängt das auch von der jeweiligen Lebenssituation ab. Mit drei kleinen Kindern zuhause ist das sicherlich nicht einfach. Auch mit einem intensiven Vollzeitjob bleibt wenig Zeit und Energie für kreatives Schaffen. Auf der anderen Seite verlieren sich viele Menschen in den sogenannten Social Media oder verbringen unnötigerweise Zeit mit dem Suchen wichtiger Unterlagen; angeblich summiert sich das Suchen von Dingen auf ein halbes Jahr unserer Lebenszeit.
Je besser ich also Alltag, Beruf und Haushalt organisiere, desto mehr Freiraum habe ich für kreatives Arbeiten. Gute Ideen dafür habe ich über meine Auseinandersetzung mit dem Thema Minimalismus gefunden. Hilfreich war auch, im Kalender einfach Zeiten zu blocken für kreatives Arbeiten. So habe ich im wahrsten Sinne der Wortes Frei-Raum für mein Treffen mit der Muse geschaffen.
Mein Dank gilt dem Gänseblümchen!
Sich schreiben mit der Natur verbinden. Zum Weiterlesen:
Tina Welling (2014): Writing Wild. Forming a Creative Partnership with Nature. Novato, California: New World Library.